„Hear the voice of the bard“
Ein inszeniertes Konzert rund um die Mahabharata und Parzival mit Musikern, Tänzerinnen und Schauspielern aus Indien, Mongolei und Europa
Konzerte 2024
Puchheim – PUC
Archiv
2023
29. – 30.4. Flandern Festival – Mechelen„Hear the voice of the bard“
Prolog
Es ist Feuer unter der Erde und das Feuer ist rein.
Es ist Feuer unter der Erde und flüssiger Stein.
Es ist ein Strom unter der Erde, der strömt in uns ein.
Es ist ein Strom unter der Erde, der sengt das Gebein.
Es kommt ein großes Feuer,
es kommt ein Strom über die Erde,
Wir werden Zeugen sein.
(Ingeborg Bachmann)
Ingeborg Bachmann hat sich mit diesem Text in die lange Reihe der Seher und mystischen Interpreten unserer Welt, unserer Geschichte und Geschichten eingereiht. Sie galt zu Lebzeiten als sonderbare Apologetin, eine Art Kassandra und es wird klar, dass sie einem Lebensgefühl Ausdruck verliehen hat, das in die Zukunft und damit auch in unsere Gegenwart ausgreift, gleichzeitig aber eine geradezu archaische, immer dagewesene Existenznot der Menschen in Gefahr beschreibt. Wie es das Schicksal (Karma? Fatum?) so will, verstarb sie früh an den Spätfolgen eines Brandes, den sie selbst, im Bett rauchend, stark narkotisiert durch intensive Einnahme von Medikamenten, verursacht hatte.
Die Schöpfung
Let me tell you a story about how everything came to be - as an Inuit grandmother told her grandchildren a long time ago: When the earth formed, everything fell down from high above. Rocks, stones and soil, it all fell down from the sky. And out of the soil came little children. They layed under the willow trees with their eyes closed, fidgeting. They couldn't even crawl. And the earth nourished them. Then we heard of a woman and a man. But whence did they come? Mysterious. When did they find each other? How did they grow up? We don't know. But one day the woman sewed children's clothes and went out. She found the little ones, dressed them and brought them home. And so there were many people. They lived in the dark because there was no sun. Only at home did they have some light. And they began to multiply. And they grew old and lived forever because there was no death. And people crowded the earth. One day an old woman said to another: We want to have both, light and death. And when she said that, it happened like this. We need both, light and death. And as she said this, so it came into be. With death came the sun, the moon and the stars. Because when people die, they go high up in the sky and start to shine.
Aus den vielen Schöpfungsgeschichten, die es in den verschiedenen Winkeln der Erde gibt, hier ein mündlich überlieferter Text aus der Kultur der Inuit.
Unsere Vorväter haben viel vom Entstehen der Erde erzählt. Sie konnten die Worte nicht in Striche verstecken wie später die weißen Männer. Sie erzählten nur, die Menschen, die damals lebten. Sie erzählten von vielen Dingen. Darum sind wir nicht unwissend. Alte Frauen reden nicht einfach so dahin, und wir glauben ihnen: im Alter gibt es keine Lügen.
Damals, vor langer, langer Zeit, als die Erde entstehen sollte, stürzte sie von oben herab. Erde, Felsen und Steine, hoch vom Himmel hernieder. Und dann kamen die Menschen. Kleine Kinder kamen aus der Erde heraus, aus Weidenbüschen, und sie lagen darunter mit geschlossenen Augen und zappelten; denn sie konnten nicht einmal krabbeln. Ihre Nahrung bekamen sie von der Erde.
Von einem Mann und von einer Frau wird erzählt. Aber wie? Das ist rätselhaft. Wann hatten sie sich bekommen? Wann waren sie groß geworden? Man weiß es nicht. Aber die Frau nähte Kinderkleider und wanderte hinaus. Sie findet die Kinder, zieht sie an und bringt sie nach Hause. So wurden es viele Menschen. Sie kannten nicht die Sonne. Sie lebten im Dunkeln. Nur im Hause hatten sie Licht. Und die Menschen vermehrten sich immerfort. Und sie wurden uralt, denn es gab keinen Tod. Und sie überfüllten die Erde. Da sprach eine alte Frau zu einer anderen: «Wir wollen beides haben, Licht und Tod.» Und als sie dies ausgesprochen hatte, wurde es so. Und mit dem Tod kam die Sonne, der Mond und die Sterne. Denn wenn die Menschen sterben, steigen sie hinauf zum Himmel und beginnen zu leuchten.
(Eskimomärchen. Köln: Diederichs 1969)
In ortum mundi sensibilis
Mundus intellegibilis
Coelo simul
et terra condito
De divino
iam prodit animo.
Zum Aufgang der sinnlichen Welt
Ist die geistige Welt
Als Himmel und Erde
zugleich geschaffen,
Längst aus der göttlichen
Seele hervorgegangen.
Tellus inanis, vacua
Latebat aquis obsita,
Ac facies
profundi gurgitis
Caligabat
obductis tenebris.
Die Erde barg sich,
Wüst und leer, von Wassern bedeckt,
Und das Angesicht
des abgründigen Strudels
Verfinsterte
Darüber gebreitetes Dunkel.
Aquae fovens vivificus
Iam incumbebat spiritus,
Ut hinc aquae
iam tunc conciperent,
Unde problem
nunc sacram parerent.
Das Wasser bebrütend, beugte sich
Der Geist, der Lebensspender, hinab,
Da von dort die Wasser
schon damals empfingen,
Woraus sie die heilige Brut
jetzt gebaren.
Mundi quoque primordia
Lucis venustans gratia,
Dixit Deus:
Sit lux, et facta est,
A tenebris
inde divisa est.
Auch der Welt Uranfänge
Begeistert des Lichtes Liebreiz,
Und Gott sprach:
Es werde Licht!, Und es ward,
Von der Finsternis
ist es seitdem geschieden.
Die Wunder von Zeugung und Geburt
Ihr Vater hatte zwei Ehefrauen und verstarb kinderlos. Um die Nachfolge zu sichern, wurde ein Onkel, der als Saddhu (Weiser) im Wald lebte, geholt. Widerstrebend näherte dieser sich der ersten Königin, die sich ob seiner ungepflegten Erscheinung während des Beischlafs die Augen zuhielt. Darauf wurde ihr Kind Dritherashtra blind. Die zweite Witwe wusste vom Schicksal der ersten und wagte die Augen nicht zu schließen, wurde aber während des Beischlafs vor Ekel und Abscheu ganz bleich, so dass ihr Neugeborener, Pandu, zeitlebens bleich war.
Dritherashtra fand später eine Frau, die ihn so sehr liebte, dass sie sich am Tag der Hochzeit die Augen mit einem Tuch verband und es bis ans Ende ihres Lebens nicht mehr abnahm und so die Blindheit ihres Gatten teilte. Pandu hingegen lebte mit seinen beiden Frauen im Wald das Leben eines frommen Weisen. Es war ihm aufgrund eines bösen Mantras verboten, seine Frauen zu berühren.
The great Indian epic, the Mahabharata, concerns two royal brothers: The first born blind, the other one pale. The blind king Dhritarashtra took a wife who blindfolded herself for life out of her love for the king. As the foretelling said, she became the mother of a hundred sons, the Kauravas. The brother of the blind king, the pale Pandu, was hunting one day. There he shot an antelope mating with a doe. It was a sage and his wife, who had used their powers to turn themselves into animals to be intimate in the open.
In the throes of death, the sage cursed Pandu: “You, who have so violently stopped me from making love to my wife, may you never know such pleasures! You will die the instant you touch a woman!“
Thereupon Pandu left the palace to live as a hermit as he could no longer father an heir to the throne. After some time his wife Kunti revealed to him the secret of a mantra she had received that would enable her to summon any god and have a child with him. First she called Yama, the god of death and justice. With him she had her first son, Yudhishthira, who would grow up to be the most honest and just claimant to the throne.
Second she called Vayu, the god of the winds. Their son was Bhima, the powerful mace bearer. Then she invoked Indra, the king of the gods and ruler of the sky. With him she had her third son Arjuna, who would become the best archer in the world. And finally, his other wife gave birth to two more sons of divine origin. This is how the Pandavas were born.
Die Heldwerdung
While some revel in producing heroic descendants for more fame and strength of their own lineage, others try to save their only child from the temptations of the world and heroic death. But no mother, no matter how hard she tries, can hide her beloved child from his own fate. “Per ce val“ – “through this valley“ he must go – Parzival.
Parzival did not listen to his mother's words. He wanted to be a knight. Rather, he wanted to have beautiful armor. Little did he know that to take away a knight's armor, he would have to take his life first. This unintentional murder saddened him. But what can you do about something you were born for?
Parzival steht stellvertretend für die Heldenhaftigkeit und gleichzeitig für das von Trauer und Tragik umflorte Schicksal aller Helden. Seine Mutter, die Witwe eines im Kampf gefallenen Königs, wollte ihren Sohn vor einem ähnlichen Schicksal bewahren und zog mit ihrem weiblichen Hofstaat und ihrem Sohn in den Wald. Parzival wächst nur mit Frauen auf, aber trotz aller Warnungen seiner Mutter Herzeloyde spürt er in sich den Drang nach Kampf und Heldentaten.
Als er eines Tages dem roten Ritter Ither im Wald begegnet, kommt es zum Kampf und das tragische Schicksal voller Irrungen und Wirrungen nimmt seinen Lauf. Der Grund des Kampfes ist, dass Parzival den Roten Ritter auffordert, ihm seine Rüstung zu geben, ohne zu wissen, dass das gegen jede ritterliche Etikette verstößt.
Die psychoanalytische Deutung geht dahin, dass diese Szene symbolisch den Akt der „Panzeraneignung“ in der männlichen Persönlichkeitsentwicklung darstellen soll. Der Panzer soll dem Mann Stärke und Schutz verleihen, kann aber, wenn er nicht passt, einengen und Entwicklung behindern.
Das Wasser
Wasser ist in materiell-physikalischem Sinne der Urgrund alles Lebens. Es kann uns und alles Leben nur geben, weil auf der Erde Wasser vorhanden ist.
Die großen Sagen sind außerdem noch in einer Ära verwurzelt, in der Wasser das natürliche Habitat der Menschen darstellte. Sowohl in Indien rückten die arischen Einwanderer zu Urzeiten langsam entlang der Flussläufe auf den indischen Subkontinent vor. Ebenso taten es die ersten Ackerbauern der Jungsteinzeit, die aus der heutigen Türkei kommend sich in Europa verbreiteten. Es verwundert deshalb auch nicht, dass dem Wasser auch in mythologischer, symbolischer und tiefenpsychologischer Hinsicht eine zentrale Bedeutung zukommt.
To become a true hero, even a demigod must walk a long and rocky road. During his childhood, ferocious Bhima, one of the five Pandavas, constantly bullied his cousins, the hundred sons of his blind uncle, picking them up and throwing them down, tossing them bodily around and shaking them out of trees.
Tired of his physical supremacy, the angry Kauravas decided to avenge their humiliations. Well aware of his love for food, they invited Bhima to a picnic on the banks of the river Ganga and offered him poisoned sweets. The unsuspecting Bhima ate them, falling unconscious. He was bound and thrown into the water. Bhima sank deeper and deeper. And deeper and deeper he sank. Until he reached the serpent kingdom, where the snakes came for him. He regained consciousness and was shocked to see himself tied and under attack by serpents. He did not realize that their poison acted as an antidote, and that they also bit his shackles to free him.
Upon freeing himself of the snakes one of them told him to follow. The creature led him into a cave where he reached their court, warmly welcomed by the serpent king Vasuki, a friend of Bhima's royal family. The king gave him a potion that made Bhima immune to all kinds of poison and bestowed upon him the strength of a thousand elephants. And so Bhima returned to his family as the strongest of all men.
In diesem Bild wenden wir uns wieder der Mahabarata zu: Der blinde Dritherashtra hatte 100 Söhne bekommen, die in Tontöpfen heranwuchsen: die 100 Kauravas. Pandu hatte durch die Erfüllung eines Mantras, das einst eine seiner Frauen, Kunti, erhalten hatte, 5 Söhne bekommen, alle fünf heldenhafte Halbgötter.
Der zweitälteste von ihnen, Bhima, war ein bärenstarker Haudrauf, der es als Kind und Jugendlicher sogar mit allen 100 Cousins, den Kauravas, aufnehmen konnte. Diese beschlossen, ihn zu beseitigen, vergifteten ihn heimtückisch, fesselten ihn und warfen ihn in bewusstlosem Zustand in einen See. Bhima sank hinab.
In dem See befanden sich tödlich giftige Schlangen, die sich über Bhima hermachten. Normalerweise ist deren Gift auch tödlich, aber in diesem Fall wirkte ihr Gift als Gegengift gegen dasjenige, das die Kauravas ihm verabreichten. Bhima erwachte unter Wasser, besiegte alle Schlangen, erreichte zuletzt eine Unterwasserhöhle, in der sich eine Gottheit befindet. Diese empfing und segnete ihn und verlieh ihm die Kraft von 100 Elefanten. Bhima tauchte auf und war ab diesem Zeitpunkt ein unschlagbarer Held unter den Menschen.
Musik: “Where is the need of words, when love has made drunken my heart”
Text: Kabir, indischer Sufi (1440-1518) von Hindi ins Englische übersetzt
Der Wald
Dieses Bild wird erfüllt durch ein Gedicht des großen deutschen Dramatikers und Dichters Heiner Müller, der es kurz vor seinem Tod im Jahre 1995 schrieb und das den Titel „Traumwald“ trägt.
Heut Nacht durchschritt ich einen Wald im Traum
Er war voll Grauen Nach dem Alphabet
Mit leeren Augen die kein Blick versteht
Standen die Tiere zwischen Baum und Baum
Von Frost in Stein gehaun. Aus dem Spalier
Der Fichten mir entgegen durch den Schnee
Trat klirrend träum ich seh ich was ich seh
Ein Kind in Rüstung Harnisch und Visier
Im Arm die Lanze deren Spitze blinkt
Im Fichtendunkel das die Sonne trinkt
Die letzte Tagesspur ein goldner Strich
Hinter dem Traumwald der zum Sterben winkt
Und in dem Lidschlag zwischen Stoß und Stich
Sah mein Gesicht mich an: das Kind war ich.
Musik: “Omnibus ostendo quod homo sum corpus habendo” – Abaelard
Das Karma
Es werden einige Episoden aus der Mahabarata erzählt – und zwar in der Form des traditionellen indischen Kathak-Tanzes, die den Weg aufzeigen von der verwandtschaftlich bedingten Jugendfreundschaft der beiden Heldenfamilien über das Aufkommen von Rivalität und Eifersucht bis hin zur tödlichen Feindschaft.
Die ausgewählten Episoden:
Die Kauravas laden den ältesten der Pandus, Yogishtira, zum Würfelspiel ein, der nur der höfischen Etikette wegen dieser Einladung folgt und konsequenterweise alles verliert: den gesamten Besitz der Pandus und auch noch ihre gemeinsame Ehefrau, die anschließend noch entehrt wird, indem ihr vor aller Augen der Sari vom Leib gewickelt wird. Allerdings macht göttlicher Beistand den Sari endlos lang, so dass sie nie unbekleidet vor der versammelten Gesellschaft steht.
Die Pandus müssen für Jahre in den Wald, ins Exil ziehen, weil sie alles verloren haben. Doch als sie zurückkehren, bauen sie sofort wieder ein blühendes Reich und einen prächtigen Palast auf. Der älteste der Kauravas kommt zu Besuch, um neidvoll den Reichtum der Konkurrenten zu beäugen und fällt tollpatschig in ein Wasserbecken, dessen Oberfläche so spiegelglatt war, dass er sie für Marmorboden hält. Er wird von der Dienerschaft verlacht, ist gedemütigt und schwört Rache. Schließlich kommt es zur großen Entscheidungsschlacht, die mit Unterstützung der Götter ausgetragen wird.
Epilog
Dialogue Arjuna – Krishna
K: I am Krishna, the origin, the middle and also the end of all beings.
A: And... who am i?
K: You are the hero Arjuna, the one with the bow.
A: Where are we?
K: On the battlefield.
A: Who stands over there?
K: The army of the Kauravas, several hundred thousand men.
A: And how many are we?
K: Much less.
A: Fortunately you are on our side, oh Krishna, the invincible!
K: Yes.
A: But where is your army?
K: On the opposing side.
A: Why?
K: I couldn't decide on a side. That's why I fight for you, but my army for the Kauravas.
A: But your army is also invincible! How is this battle supposed to end? That's no fight, it's just attrition, total defeat, the downfall! And these are our relatives over there, this is madness!
Krishna stays silent
K: Who are you?
A: Arjuna, the archer.
K: What are you?
A: A warrior. A good warrior!
K: And what does a warrior do?
A: He fights.
K: So go and fight! Act, but do not attach your heart to your actions. And do not long for the fruits of your actions. For you cannot anticipate their consequences. You shall not discard an action that is in your nature, even if it seems tainted. Because all action is tainted, just as fire is shrouded by smoke.
And don't be afraid of the downfall. For you will be happily united with your brothers and friends, even with your enemies, whom you may have killed.
A: Well, let's go and fight.
Es ist klar, dass die Schlacht von keiner Seite gewonnen werden kann, denn der unbesiegbare Gott Krishna kämpft auf der Seite der Pandus, seine Armee aber auf der Seite der Kauravas. Es gibt nur einen Überlebenden, Yogishtira, der zusammen mit einem Hund, mit dem er sich auf dem Schlachtfeld angefreundet hat, in den Himmel einziehen darf.